Warum muss die Polizei Todesnachrichten überbringen? Können das nicht andere qualifizierte ExpertInnen wie zum Beispiel Psychologen übernehmen?

Kurz: Das Überbringen von Todesnachrichten gehört zu den Aufgaben, die kraft öffentlichen Rechts von der Polizei zu erfüllen sind. Aufgrund ihrer Informationshoheit , Ermittlungstätigkeiten sowie der Zuständigkeit für die Prävention und Abwehr von Gefahren sowie dem Opferschutz kommt die Aufgabe der Polizei zu und kann nicht von anderen Fachkräften übernommen werden. Beim Überbringen von Todesnachrichten treffen polizeiliche und seelsorgerische  Aufgabenbereiche zusammen, müssen jedoch voneinander abgegrenzt werden.

Lang: Zwei uniformierte Polizisten klingeln an der Wohnungstüre – ein Bild, das man gespeist aus Darstellungen in Film und Fernsehen sofort mit dem Überbringen einer Todesnachricht assoziiert. Hierbei handelt es sich jedoch nur um den Erstkontakt zwischen Polizei und Angehörigen. Vor allem bei Todesermittlungsverfahren, in denen es zur Sicherstellung oder Beschlagnahmung des Leichnams kommt, sind die zuständigen Polizeibeamten für Angehörige ein wichtiger Ansprechpartner. Die Polizei befindet sich an der Schnittstelle zwischen Ärzten, der Staatsanwaltschaft, dem Bestatter, Zeugen etc. Hierdurch kann sie für Angehörige Türen öffnen und Zugang zum Verstorbenen und zu Informationen ermöglichen, die sonst für Angehörige unerreichbar bleiben.

Zunächst muss jedoch eingegrenzt werden, in welchen Situationen das Überbringen einer Todesnachricht in den Aufgabenbereich der Polizei fällt. Dies ist nämlich nicht immer der Fall, sondern hängt mit der Todesart zusammen. Bei plötzlichen, nicht natürlichen oder (zunächst) ungeklärten Todesfällen wie bei einem Unfall, Suizid oder einem Tötungsdelikt ist in Deutschland die Polizei für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen zuständig. Der polizeiliche Auftrag ergibt sich aus den Zuständigkeiten für die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, der Gefahrenabwehr, Prävention, und dem Opferschutz. In der Benachrichtigungssituation verfügen Polizeibeamte über wichtige Informationen hinsichtlich des Geschehens. Entweder waren sie selbst vor Ort oder sie haben vorab von Kolleg*innen idealerweise alle relevanten Details eingeholt.

Wo hat der Unfall stattgefunden? Wurde ein Abschiedsbrief am Todesort gefunden? Gab es Ersthelfer oder Zeugen? Wo ist der Verstorbene und wann können Angehörige zu ihm?

In dieser Situation müssen Polizist*innen entscheiden, welches Wissen sie an Angehörige weitergeben können und welche Informationen aus Ermittlungsgründen (noch) nicht herausgegeben werden dürfen. Letzteres ist dann relevant, wenn sich ein Todesermittlungsverfahren anschließt.

In der Extremsituation einer Todesbenachrichtigung reagieren Menschen, die vom plötzlichen und unnatürlichen Tod eines geliebten Menschen erfahren, unterschiedlich. Aufgabe der Polizei ist es, Risiken einzuschätzen sowie Fremd- und Eigengefährdungen vorzubeugen und damit Prävention zu leisten. Die aufgebrachte Ehefrau, die vom Suizid ihres Partners erfährt, verursacht auf dem Weg zum Ort des Geschehens möglicherweise einen Verkehrsunfall. Dieser kann von Polizeibeamten verhindert werden, die wenn nötig auch dazu befugt sind, Freiheitsrechte einzuschränken. Oftmals holen sich Polizeibeamte Unterstützung von Notfallseelsorgern oder Kriseninterventionsteams, wenn sie Angehörige über den Tod eines Familienmitglieds informieren müssen. Notfallseelsorger und Kriseninterventionsteams kümmern sich um die psychosoziale Betreuung von Menschen in Extremsituationen. Sie bleiben nach der Benachrichtigung bei den Angehörigen und stehen diesen zur Seite. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass Angehörige nach einer Benachrichtigung nicht alleine Zuhause verbleiben.

Macht es wirklich einen Unterschied, wie eine Todesnachricht überbracht wird? Und gibt es überhaupt eine Möglichkeit, das gut zu machen?

Kurz: Ja und ja.

Lang: Das Überbringen von schlechten Nachrichten, sei es eine medizinische Diagnose oder eine Todesbenachrichtigung stellt eine Extremsituation dar. Für den Empfänger bedeutet die Nachricht einen Zusammenbruch der Realität, der das bisherige Leben von einem Moment zum anderen grundlegend ändert. Die Überbringer erleben diese Aufgabe zudem als extrem belastend. Studien und Publikationen aus verschiedenen Kontexten (Baile et al. 2000, Douglas et al 2013, Neff et al 2012, Fresen 2016, Kraemer 2016, Nordström et al 2011, Lasogga 2011, Trappe 2001 heben die Notwendigkeit einer intensiven Ausbildung und Vorbereitung der Überbringer hervor. Sie verweisen auch auf die negativen Effekte mangelhaft ausgeführter Benachrichtigungen, die für Betroffene weitreichende emotionale, gesundheitliche wie auch soziale Konsequenzen nach sich ziehen können. Ein wiederkehrende Beobachtung in den Publikationen, die auch vom Projekt ‚Narratives of Terror and Disappearance‘ bestätigt wird, ist der Hunger der Betroffenen nach Informationen. Oft ergeben sich viele wichtige Fragen erst eine Weile nachdem die Nachricht zum ersten Mal gehört wurde. Damit die Bedeutung des Satzes „Ihr Mann ist tot“ realisiert werden kann, benötigen Hinterbliebene Gewissheiten und zuverlässige Informationen. Diese schützen sie außerdem vor ihrer eigenen Fantasie (Trappe). Denn dort, wo Unwissenheit besteht, übernimmt die Fantasie und vervollständigt die Wissenslücken.

Im Falle eines plötzlichen und nicht natürlichen Todes können so horrorartige Imaginationen entstehen. Polizisten können Angehörigen den Zugang zu wichtigen Informationen, Verfahrensabläufen und anderen involvierten Parteien ermöglichen. Wissen Polizisten beispielsweise um die für Hinterbliebene sakral anmutende Bedeutung des Todesortes und die beim Verstorbenen gefundenen Gegenstände, so schafft dies Handlungssicherheit. Es wird klar, warum die Kleidung des Verstorbenen zum Zeitpunkt des Todes von besonderer Bedeutung ist und deshalb eines besonders respektvollen Umgangs bedarf. Dies schafft für Beamte zum einen Handlungssicherheit und ermöglicht Selbstwirksamkeitserfahrungen. Der Inhalt der Nachricht wird sich durch die Art und Weise der Überbringung also nicht verändern. Die bedachte, offene und respektvolle Kommunikation und Interaktion mit Angehörigen kann jedoch zusätzliches Leid verhindern und den Trauerprozess ermöglichen.

Die Frustration über unzureichende Informationen und die Intransparenz bürokratischer und juristischer Abläufe ist für viele ein bekannter Bestandteil alltäglicher Behördengänge. Im Kontext des außeralltäglichen, des plötzlichen und unnatürlichen Todes eines geliebten Menschen sind diese Erfahrungen jedoch von besonderer Schwere. In diesem Sinne ist das Überbringen von Todesnachrichten als Präventionsauftrag zu verstehen. Im Rahmen der polizeilichen Übermittlung von Todesnachrichten kann negativen Folgen, die sich aus der Ohnmachtserfahrung aufgrund bürokratischer und juristischer Abläufe ergeben, bewusst entgegen gewirkt werden.